"Ich bin kein Romantiker"

Der Pianist Wilhelm Kempff (1895–1991)

Dokumente zu Leben und Werk

Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung in Potsdam
vom 23.11.2008 bis 01.02.2009
Im Auftrag der Akademie der Künste herausgegeben von
Werner Grünzweig, Anouk Jeschke, Christiane Niklew und Daniela Reinhold

314 S., Pb., Großformat, 122 Abb.

»Ich erinnere mich an einen der letzten Lisztschüler, einen berühmten Marchese in Italien. Ich mußte Brahms’ Paganini-Variationen in Florenz spielen, ungefähr 1921/1922. Da ich keine Zeit mehr hatte, etwas zu mir zu nehmen – es war ein Nachmittagskonzert –, nahm ich ein Käsebrot mit auf die Straße und sagte zum Marchese: ›Lassen Sie uns zu Fuß gehen.‹ – ›Das hätte Liszt nicht getan‹, meinte er, ›der wäre mit einer vierspännigen Kalesche dort hingefahren und hätte sich von seinem Diener auf silbernen Tabletts etwas zum Essen bringen lassen.‹ – ›So haben sich die Zeiten geändert‹, erwiderte ich, aß ruhig weiter und ließ mich nicht stören.« Wilhelm Kempff

Das Bild von Kempff als einem Hohepriester des Klaviers, wie Schallplattenfirmen es mit entsprechend inszenierten Porträts gerne verbreiteten, bedarf einer Korrektur. Zwar war die Karriere des 1895 in Jüterbog geborenen und 1991 in Positano gestorbenen Pianisten Wilhelm Kempff, der 1906 in Potsdam sein erstes Solokonzert gab, als Jugendlicher Ferruccio Busoni vorspielte, bald in allen großen Musikzentren gastierte und 1981 in Paris seine internationale Karriere beendete, außergewöhnlich lang und erfolgreich. Und beispiellos gestaltete sich auch seine Laufbahn als Schallplattenkünstler seit Beginn der 1920er Jahre, die rasch seinen internationalen Ruhm begründete. Doch jene Aura der Unnahbarkeit des Großvirtuosen, mit der sich Liszt noch selbstverständlich umgab, wollte Kempff nie für sich reklamieren, auch wenn er in vielen Ländern vom Publikum geradezu vergöttert wurde.
Vielmehr lebte Kempff ein der Welt und den Menschen zugewandtes Leben, dessen künstlerische Unabhängigkeit er weder durch äußere Machtpositionen noch durch institutionelle Bindungen gefährdet wissen wollte. Bereits 1924 wurde er zum Direktor der Stuttgarter Musikhochschule berufen, doch legte er dieses Amt aus eigenem Willen nach fünf Jahren wieder nieder. 1932 wurde er unter Max Liebermann in die Akademie der Künste berufen, doch der nach dem Krieg neu gegründeten Akademie wollte er nicht mehr beitreten, genauso, wie er nie einer Wettbewerbsjury angehörte. Es mag dies eine Konsequenz sein aus der schmerzlichen Einsicht, daß er sich allzu leicht von der nationalsozialistischen Kulturpropaganda hatte einspannen lassen. Sein Anspruch, auch im »Dritten Reich« eine solche Unabhängigkeit bewahren zu können, erwies sich als schwerer politischer Irrtum, den Kempff jedoch später auf sehr persönliche Weise – durch den Einsatz für den Weltfrieden ebenso wie durch internationale künstlerische Verständigung in seinen Beethoven-Kursen – zu kompensieren suchte.

Kempff ist mit seinen nach dem Krieg entstandenen Aufnahmen des klassisch-romantischen Repertoires im Gedächtnis einer weltweiten Hörerschaft geblieben. Seine Einspielungen der Klavierwerke von Beethoven, Brahms, Schumann und Schubert setzten in ihrer freien und persönlichen, gleichwohl sehr genauen und luziden Konzeption Maßstäbe, die Gültigkeit bewahren. Bedeutend sind auch seine heute weniger bekannten Aufnahmen, darunter etwa die um 1950 in London entstandenen Liszt-Einspielungen, die Alfred Brendel nicht nur für ihre unübertroffene technische Meisterschaft rühmte, sondern auch zum Großartigsten zählte, was er an poetischem Klavierspiel kenne. Die Ausstellung beschreibt anhand zahlreicher Originalquellen Kempffs Leben und seine Bedeutung für die Geschichte des Klavierspiels, aber auch seine Verdienste als Lehrer und Komponist: Kempff schrieb zeitlebens Musik, blieb darin jedoch stets, und sehr bewußt, ein Kind des 19. Jahrhunderts.

 

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